Interview mit dem Klimaforscher Georg Kaser
Die Klimakrise ist eine reale Bedrohung, die Auswirkungen sehen wir jeden Tag, auch in unserem alltäglichen Leben können wir den Klimawandel beobachten. Gibt es also überhaupt noch eine Chance etwas zu verändern? Wir von Alperia glauben daran und haben mit Georg Kaser, Universitätsprofessor für Klima- und Kryosphärenforschung i.R. am Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck und mehrfacher Leitautor im Weltklimarat IPCC, gesprochen. „Nicht aufgeben, zusammenhalten und sehr schnell agieren“, so lautet das Credo von Kaser. Wenn wir jetzt umdenken und Maßnahmen ergreifen, kann sich unser Planet positiv verändern; es geht um die Folgen des Klimawandels, des Biodiversitätsverlustes und der sozialen Spaltung unserer Gesellschaft.
Wie geht es unserem Planeten?
Dem Planeten geht es nicht gut, und das aus mehreren Gründen. Die Ursache ist das Wirtschaften der westlichen Gesellschaft seit rund 200 Jahren. Ihr Lebensstil verändert die Erdoberfläche und die Atmosphäre und führt zum Aufheizen des Klimasystems, es verschwendet Ressourcen schneller als unser Planet diese nachliefern kann und zerstört Ökosysteme. Das ist unheimlich gefährlich, da wir somit keine Schutzmechanismen mehr gegen den fortschreitenden Klimawandel und auch nicht mehr gegen Krankheiten haben. Sehr gefährlich ist gleichzeitig auch der gesellschaftliche Verfall, der sich überall manifestiert.
Was hat es mit der 1,5-Grad-Grenze auf sich? Ist diese schon erreicht bzw. überschritten worden? Wann hätte sie laut Berechnungen erreicht werden sollen?
Im Klimaabkommen von Paris (2015) haben sich praktisch alle Länder der Erde auf das Ziel geeinigt, den menschengemachten globalen Temperaturanstieg durch den Treibhauseffekt auf 1,5°C gegenüber vorindustriellen Werten (Mittelwert zwischen 1850 und 1900) zu begrenzen, in keinem Fall aber die 2°C-Marke zu überschreiten. Wir sind jetzt bei +1,2°C angelangt und bei den derzeitigen Erwärmungsraten wird die 1,5°C-Grenze noch in unserem Jahrzehnt, die 2°C-Grenze in rund zwei Jahrzehnten durchstoßen werden.
Das 1,5-Grad-Ziel ist noch erreichbar, aber bei den derzeitigen globalen Emissionsraten von Treibhausgasen wird deren Konzentration in der Atmosphäre im Jahr 2030 einen Wert erreicht haben, der die Erde über 1,5°C erwärmen wird. Je früher und drastischer wir vor 2030 die Emissionen reduzieren, desto länger können wir nachher noch geordnet die Emissionen auf netto null bringen. Jedes Jahr weiterer Verzögerung wird diesen Spielraum verringern.
Fakt ist, der Klimawandel schreitet in riesigen Schritten voran, schneller als wir das noch vor einigen Jahren vorhergesehen hatten.
Ein oder zwei Grad mehr scheinen nicht viel zu sein; warum sollten wir uns also Sorgen machen?
Die Aussage „in meiner Stadt ist es nur zwei Grad wärmer als üblich“ ist etwas komplett anderes als die Tatsache, dass wir die Gesamtheit des Energieinhaltes im Klimasystem verändern. Die globale gemittelte Oberflächentemperatur der Erde ist ein Maß dafür. Dabei gehen rund 90 % der Energie (Wärme), die wir über vermehrte Treibhausgase ins Klimasystem einspeisen, in die Ozeane. Wenn das nicht der Fall wäre, hätten wir die Erde bereits um 36 Grad erwärmt, und nicht „nur“ um 1,2 Grad. Das hat aber Konsequenzen in den Meeren, z. B. das Absterben von Korallenriffen, Änderungen der Meeresströmungen und den Anstieg des Meeresspiegels durch die thermische Ausdehnung des Meerwassers. Zudem schmilzt durch die Erwärmung das Eis der Gletscher und der Eisschilde an den Polen und das trägt, zwar verzögert, aber massiv zum Meeresspegelanstieg bei. All das führt auch zur Verschiebung von atmosphärischen Zirkulationsmustern, die wiederum verschiedenste Auswirkungen haben, wie zum Beispiel in letzter Zeit immer länger anhaltende und immer stärker werdende Extremereignisse. Es ist eine Summe von Dingen, von denen man spricht, wenn die globale Mitteltemperatur steigt.
Welcher Temperaturanstieg markiert den Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt?
Wir bewegen uns derzeit auf eine Welt zu, die um die Jahrhundertwende 2,5-3°C wärmer sein wird als heute. Viele Menschen reden sich ein, dass das schon machbar sei, aber die Erwärmung würde dann weiter stark ansteigen. Zudem wären dann große Teile der Erde bereits wegen tödlicher Hitzewellen, massivem Arten- und Ökosystemsterben und steigendem Meeresspiegel nicht mehr bewohnbar und auch nicht mehr zu bewirtschaften. Zudem droht die Gefahr eines Point of no Return bereits lange früher, vermutlich bereits zwischen 1,5 und 2 Grad. Grund dafür ist das Kippen einzelner Subsysteme; das offenkundigste Szenario ist jenes mit dem arktischen Permafrost. Wenn dieser zu tauen beginnt, werden Unmengen an Methangas frei, von denen dann rund 1/3 als CO2 langlebig in der Atmosphäre bleiben wird, d.h. 3.000 bis 10.000 Jahre lang. Und dann haben wir das Spiel verloren. Wir wissen heute nicht, wann das passieren wird, aber es kann mit jedem weiteren Zehntelgrad Temperaturanstieg passieren. Es gibt erste Anzeichen bei allen Kipppunkten, zum Beispiel dem Instabil-Werden der Westantarktis und weiten Teilen des grönländischen Eisschildes – die Folgen wären jeweils mehrere Meter Meeresspiegelanstieg – oder das Verlangsamen des Golfstroms. Man warnt schon seit 40 Jahren vor diesen Zeitbomben. Und jetzt ticken sie immer schneller.
Der Weltklimarat (IPCC) hatte schon 1990 den aktuellen Temperaturanstieg errechnet, die gesamte wissenschaftliche Gemeinschaft spricht seit Jahrzehnten darüber und entwirft konkrete Szenarien der Klimaentwicklung, weltweit trifft sich die Politik auf Klimagipfeln und unterschreibt Vereinbarungen, junge Menschen auf den Straßen demonstrieren und Unternehmen wetteifern um den grünsten Slogan. Warum haben wir dann Ihrer Meinung nach bis heute nicht gehandelt?
Grund dafür ist das große Geschäftemachen und der sogenannte Wohlstand, den alle vermehren möchten, ohne Rücksicht auf das eigene Wohlbefinden und die Gesundheit unseres Planeten. Die bei weitem größte und massivste Infrastruktur der Erde ist die des Bereitstellens von fossilen Treibstoffen. Es gilt, diese Infrastruktur überflüssig zu machen und sie zu zerschlagen, und das muss von vielen Seiten angegangen werden. Die globalen Finanzströme müssen z.B. von den fossilen Brennstoffen in den Umbau auf erneuerbare Energiequellen, den Umbau unseres globalen Wirtschaftssystems, aber auch in Anpassungsmaßnahmen an den nicht mehr vermeidbaren Klimawandel und in das Beheben von Schäden und Verlusten vor allem im globalen Süden umgelenkt werden. Das kann man auch im Kleinen beeinflussen: Je mehr Gemeinden, Betriebe, Städte, Regionen und Staaten so schnell wie möglich vom Konsum fossiler Brennstoffe wegkommen, umso weniger kann die Erdölindustrie Geschäfte damit machen.
Kann man überhaupt von einem Klimawandel reden? Man hört ja immer wieder, dass es in der Geschichte längere oder kürzere radikale Klimaperioden gegeben hat.
In der Wissenschaft gibt es eine sehr klare Terminologie: Klimawandel und Klimaschwankungen sind etwas anderes. Es gab und gibt jede Menge zyklische Klimaschwankungen, die im Wesentlichen von regelmäßigen Sonnenaktivitäts- und Erdbahnschwankungen verschieden langer Zeitspannen verursacht werden. Diese kennen wir und wir können sie sehr genau über Jahrmillionen im Voraus bzw. zurückrechnen.
Klimawandel bedeutet hingegen eine Veränderung des energetischen Grundzustandes im Klimasystem und dieser wird derzeit allein vom Menschen stetig und schnell angehoben. Dabei werden allfällige Klimaschwankungen mitgenommen und fallweise verstärkt.
Klimaschwankungen hat es immer schon gegeben, der jetzige Klimawandel ist in der neueren Erdgeschichte einmalig und auch wenn es ganz tief in der geologischen Erdvergangenheit andere Energiezustände gegeben hat, war der Wandel von einem Zustand in einen anderen nie so atemberaubend schnell wie der menschgemachte. Er geschieht so schnell, dass sich kein Ökosystem – Mensch, Pflanzen, Tiere –anpassen kann. Die Wissenschaft hat zwar Konzepte und Pläne, wie man sich eventuell auf 1,5 Grad anpasst, aber sie stellt auch fest, dass manche Systeme bereits jetzt schon ihre Anpassungsfähigkeit verloren haben.
Es gibt zwar Einiges, was man als Einzelner tun kann, um die Umwelt zu schützen und Ressourcen zu sparen, aber reicht das überhaupt? Braucht es nicht auch ein geschlossenes Handeln seitens der Politik und der Wirtschaft?
Niemand wird allein die Welt retten, das schaffen wir nur gemeinsam. Auch wenn nicht alle mitmachen werden, je mehr es sind, umso eher besteht eine Chance, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten. Es sollte natürlich schon längst geschehen und wir müssen sehr aufpassen, dass die Gesellschaft dabei nicht völlig auseinanderbricht, aber es muss ein globales Umdenken erfolgen.
Alle Entscheidungsträger müssen endlich den Ernst der Lage begreifen und die richtigen Entscheidungen treffen, auch wenn sie ob der gebotenen Eile vielleicht schmerzhaft sein werden. Es wird nur über einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel gehen. Dafür gibt es bereits Modelle und Vorschläge aus der Wissenschaft, die den Wohlstand gerecht verteilen und den Menschen und ihre Umwelt in ein Gleichgewicht bringen würden. Die Nachhaltigkeitsziele der UN zielen zum Beispiel darauf ab. Es geht am Ende auch darum zu erkennen, dass steigender Wohlstand nur aus einer Mangelsituation heraus zu Wohlbefinden führt, dass in der westlichen Industriegesellschaft das gemeinsame Wohlbefinden aber schon seit Jahrzehnten auf der Strecke geblieben ist.
Eine Anregung zum persönlichen Handeln zeigen folgende Zahlen: 5 km Autofahrt verursachen 1 kg CO2 und dieses das Schmelzen von 20 kg Gletschereis. Natürlich soll die Gesellschaft mobil bleiben können, aber nicht mit dem eigenen Auto. Es braucht ein effizientes öffentliches Verkehrsnetz, das mit erneuerbaren Energien betrieben wird.
Wir haben nun die knallharte Wahrheit gehört. Gibt es denn auch gute Nachrichten bzw. Hoffnung, die uns zum Handeln antreibt? Kann der Klimawandel gestoppt werden? Und wenn ja, wie?
Total aufhalten ist das alleroberste Gebot. Aufhalten können wir noch schaffen, aber nur, wenn wir äußerst schnell die Notbremse ziehen, d.h. die Treibhausgasemissionen auf null bringen, mit allen Konsequenzen für unsere Gesellschaft, die ihre Lebensgewohnheiten umstellen muss.
Wenn die Menschheit wegkommt vom entfesselten Energie- und Ressourcenkonsum und es eine ökonomische und ökologische globale Gerechtigkeit gibt, dann gibt es Hoffnung, dass wir die Möglichkeit zum Beenden der globalen Erwärmung nicht aus der Hand geben. Und es gibt Hoffnung, dass die Menschen endlich begreifen, dass man sich nicht mehr allein auf technische Lösungen verlassen kann, weil die Zeit für deren Entwicklung und Implementierung vorerst nicht mehr reicht. Wenn wir den Klimawandel gestoppt haben werden, dann können wir nachher wieder auch an technischen Möglichkeiten arbeiten, die der globalen Gesellschaft gemeinsames Wohlbefinden ermöglichen.
Heute ist der Internationale Weltumwelttag. Welche persönliche Reflexion möchten Sie uns noch mit auf den Weg geben?
Wenn ich mir die Umwelt aus der Klimaperspektive, aber auch aus der Ökosystemperspektive und der sozialen Perspektive anschaue, dann lautet das Motto für uns alle: Nicht aufgeben, zusammenhalten und sehr schnell agieren. Dabei sollen wir nicht das Gefühl haben, dass man auf etwas verzichten muss. Es geht nicht um Verzicht, sondern um ein Umgestalten der Lebensgewohnheiten, das zum Teil viel mehr Lebensqualität bringen kann als jene, die wir heute haben. Es ist nicht ein Mehr oder Weniger, sondern es ist etwas Anderes, das uns am Ende ein größeres Wohlbefinden bringen kann.